Gaffen im Straßenverkehr
Liebe Unioner,
nach überstandener Sommerpause begrüße ich Euch herzlich und wünsche uns allen eine spannende und erfolgreiche Saison 2017/2018! Wie gewohnt werde ich Euch an dieser Stelle auch weiterhin verschiedene juristische Themen vorstellen. Sofern es Eurerseits Vorschläge oder Anregungen für interessante rechtliche Inhalte gibt, freue ich mich nach wie vor über entsprechende Anfragen.
Bevor ich zum heutigen Thema komme, muss vorab auf meinen letzten Artikel vor der Sommerpause eingegangen werden: Dort berichtete ich über die geplante Gesetzesänderung der §§ 113 ff Strafgesetzbuch (StGB), die grob zusammengefasst körperliche Angriffe auf Polizeibeamte und Rettungskräfte regelt. Inzwischen ist die Gesetzesänderung von Bundestag und Bundesrat tatsächlich entsprechend dem Gesetzesentwurf beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet worden, was bedeutet, dass seit dem 30. Mai 2017 nunmehr u.a. geringere Anforderungen an eine Strafbarkeit wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gelten. Zur genauen Änderung sei auf den entsprechenden Programmheft-Artikel aus dem Heimspiel 2016/2017 gegen Heidenheim verwiesen. Ebenfalls empfehle ich, sich den neuen Gesetzeswortlaut der §§ 113 ff. StGB zur Information genau anzuschauen.
Dazu wurde im Rahmen dieser 52. Gesetzesänderung des StGB auch der § 323c StGB novelliert, der sich bislang allein mit der unterlassenen Hilfeleistung befasste. Hinzukommt in einem neuen Absatz 2 nunmehr (ebenfalls mit Wirkung ab dem 30. Mai 2017), dass auch das Behindern von hilfeleistenden Personen fortan bestraft werden kann. Laut Gesetzesbegründung war nämlich zunehmend festzustellen, dass Schaulustige bei schweren Unfällen die verunglückten Personen lieber per Handy fotografierten, anstatt ihnen zu helfen und dabei nicht selten die Rettungsmaßnahmen erschwerten oder verhinderten.
Durch die Schaffung des § 323c Abs. 2 StGB wird nunmehr derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, der in Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will. Was genau alles ein „Behindern“ darstellen soll, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sieht die Gesetzesbegründung darin grundsätzlich eine spürbare, nicht unerhebliche Störung der Rettungstätigkeit. Als Beispiele werden die Beschädigung von technischem Gerät, das Versperren des Weges, das Nichtbeiseitetreten, das Blockieren von Notfallgassen oder die Beeinträchtigung der Tätigkeit von Ärzten und Krankenhauspersonal in der Notaufnahme genannt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich die Behinderung negativ für die hilfsbedürftige Person ausgewirkt hat. Relevant wird der neue Passus damit vor allem in den so genannten „Gaffer-Fällen“, in denen unbeteiligte Dritte bei Unfällen im Straßenverkehr aus Sensationsgier Ersthelfer und Rettungskräfte am Hilfeleisten hindern, etwa durch besagte Handyaufnahmen, unnötig langsames Vorbeifahren oder reines, störendes Beobachten, das sich nachteilig auf einen reibungslosen Rettungsablauf auswirkt. Eine strafrechtliche Verfolgung von einem solch behindernden Verhalten, bei dem keine Gewalt im Sinne des § 113 StGB angewendet wird und kein tätlicher Angriff vorliegt, war bislang nicht möglich. Diese Lücke wurde nunmehr durch die Ergänzung des § 323c StGB geschlossen.
So entscheidend und richtig die explizite Strafandrohung für „Gaffer“ im Endeffekt ist, da gerade in Unglücksfällen der Faktor Zeit eine maßgebliche Rolle spielt und jeder Betroffene schnelle Hilfe erwarten darf, so zweifelhaft bleibt die 52. Änderung des StGB gerade hinsichtlich der Novellierung der §§ 113 StGB. Die juristische Saison beginnt somit mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Eisern Union!
Rechtsanwalt Dirk Gräning